Vom Skeleton Point aus mache ich mich wieder auf den Weg. Es geht weiterhin steil bergab, obwohl der Weg zum Tipoff Point zumindest kurz über das Zwischenplateau führt, das ich den ganzen Tag über gesehen habe. Kurz danach zeigt sich der Fluss zum ersten Mal etwas großzügiger:

Immer noch sind mehr als 300 Höhenmeter zu überwinden – oder eigentlich eher Tiefenmeter. Es bleibt so spektakulär, wie es bislang den ganzen Tag über gewesen ist. Noch etwas weiter, und das untere Ender der Wanderung kommt in den Blick:

Links im Bild, tief unten, der untere Teil des Bright Angel Trails, der anderen Möglichkeit, vom South Rim zum Colorado River zu kommen. Dieser Weg führt über die Fußgängerbrücke, die unten im Tal zu sehen ist. rechts unten im Bild die Kläranlage und einige andere technische Gebäude an der Stelle, an der der Bright Angel Creek in den Colorado River mündet. Und dann, entlang des Bright Angel Creeks rechts im Bild wieder hinauf, die Flußoase, in der sich der erste Campingplatz und die Phantom Ranch befinden. Ich stutze und zoome heran auf die Bildmitte:

Tief unter mir fliegt ein Hubschrauber! Das Geräusch ist unüberhörbar, aber inmitten dieser grandiosen Landschaft ist der Hubschrauber so klein, dass ich eine Weile gesucht habe, bis ich ihn gesehen habe. Er transportiert eine Big Back mit Baumaterial für die Renovierung der Kläranlage. Vor Jahrzehnten hätte man dies sicherlich mit Maultieren erledigt. Ebenfalls unten im Foto sehe ich ein Motorfloß, das auf dem Colorado-River entlang fährt. Ich bin überrascht von der Größe dieser Boote – sie sind deutlich größer, als alle Schlauchboote, mit denen ich bis jetzt beim Rafting war. Allerdings ist auch der Colorado River wesentlich breiter, als ich mir das vorgestellt hatte! Auch hier träume ich einen „Was-wäre-wenn“-Traum – wenn diese Reise nicht quer zum Colorado River zu Fuß verlaufen würde, sondern wenn ich dort unten auf dem Floß wäre. Vielleicht ein andermal.
Der Weg führt weiter bergab:

Es ist nicht mehr weit bis unten, aber gerade dieser Ausblick lässt das nicht vermuten. Sowie der Fluß aus dem Blick gerät, führt der Weg wieder durch das endlos scheinende Labyrinth der Canyon-Wände. Bis dass die Hängebrücke auftaucht:

Hier geht der Abstieg zu Ende, und der South Kaibab Trail überquert den Colorado River. Seit längerem gibt es hier mal wieder eine Weggabelung:

Mein Weg ist klar, ich will nicht am Colorado entlanggehen, um dann über den Bright Angel Trail wieder aufzusteigen, ich will zur Phantom Ranch. Der Weg führt zur Brücke. Um allerdings Trail und Brücke miteinander zu verbinden, waren auf beiden Seiten kurze Fußgängertunnel notwendig. Das Ufer ist für andere Wegführungen einfach zu steil:

Auf der Brücke dann der Blick in drei Richtungen. Nach vorn geht es ans andere Ufer und dann durch einen zweiten kurzen Tunnel auf den Weg zur Phantom Ranch:

Zur Seite liegt der Colorado River im Licht der späten Nachmittagssonne. Noch fällt kein Schatten auf den Boden des Tals, so dass das Wasser tiefgrün schimmert. Es ist warm hier unten – mindestens 10 Grad wärmer als am South Rim. Das scheint auch den Algen im Fluss zu gefallen:

Unten rechts im Bild sieht man den kleinen Flußstrand, an dem sich ein paar Mutige ins Wasser trauen. Mut ist nicht erforderlich, weil das Wasser so kalt wäre, sondern weil es so schnell dahinströmt. Schwimmen ist konsequenterweise auch verboten, zu groß ist die Gefahr, abgetrieben zu werden – und bis zu den nächsten Stromschnellen ist es nicht weit.
Bevor ich weitergehe, drehe ich mich noch einmal um und blicke zurück:

Und dann geht es weiter. Etwa von dem oben gezeigten Strand aus blicke ich zurück auf die Brücke:

Einen Moment lang staune ich über die kühne Konstruktion und den Aufwand, den der Bau dieser Brücke gemacht haben muss. Und das alles für einen Fußgängerweg!
Ich gehe noch ein wenig weiter, und gelange an den Campingplatz an der Mündung des Bright Angel Creeks. Und treffe eine Bekannte wieder: Chandler hat ihr Zelt hier aufgeschlagen. Gerne würde ich hier bleiben, damit wir gemeinsam zelten können – aber mein Permit gilt für einen anderen Campingplatz, weitere sieben Meilen den Bright Angel Creek entlang. Ich frage in der Ranger-Station, ob das Permit geändert werden kann – und beiße auf Granit. Zum ersten Mal seit Beginn der Wanderung begegnet mir ein Ranger, der völlig unwillig ist, mir in einer Sache entgegenzukommen, die ihn nichts kosten würde – es sind mindestens noch zehn Zeltplätze frei, und in Anbetracht der vorgerückten Zeit ist es äußerst unwahrscheinlich, dass noch weitere Wanderer ankommen werden. Ich werde abgewiesen. Mir fällt auf, dass dies der erste Ranger ist, der mir begegnet, der seine Waffe offen trägt. Sind hier alle von den Touristen einfach nur genervt, oder habe ich einfach zum ersten Mal Pech mit den Menschen die mir begegnen? Ich beschließe, noch etwas Zeit mit Chandler zu verbringen und die direkte Umgebung zu erkunden. Dabei entsteht das Bild ganz oben; und ich erwerbe die wahrscheinlich teuerste Lemonade meines Lebens an der Phantom Ranch. Als ich bezahle, stelle ich meinen Rucksack kurz ab, und in den wenigen Minuten beginnt ein Eichhörnchen, sehr schnell und zielgerichtet diejenige meiner Seitentaschen zu zernagen, hinter der sich die Erdnüsse befinden. Ich nehme meinen Rucksack wieder auf und frage halb im Scherz an der Kasse, ob es in Ordnung wäre, die Eichhörnchen wegzukicken. Nein, bekomme ich zur Antwort – aber wenn ich ihnen Sand in die Augen kicken würde, würden sie auch meistens gehen …
Mir begegnen Ranch-Gäste. Ich kann nicht umhin, den Unterschied zu den Fernwanderern zu bemerken. Zum ersten Mal fühle ich mich ausgeschlossen – die deutlich besser gekleideten Reisenden, die viele hundert Euro für die Übernachtung bezahlt haben, wollen unter sich bleiben. Dann soll das wohl so sein. Jedenfalls vergeht mir die Lust, an der Phantom Ranch Fotos zu machen. Stattdessen mache ich mich auf den Weg zu meinem reservierten Campingplatz. Dabei begegnet mir eine besonders bunte Eidechse:

Und dann geht es den noch ziemlich weiten, relativ flachen, aber bereits wieder ansteigenden Weg am Bright Angel Creek entlang. Es ist früher Abend, der Talboden liegt im Schatten, und ich fange an, mich zu beeilen, um nicht in die Dunkelheit zu gelangen:

Der Ausblick ist jetzt ein anderer. Die grandiose Weite des Grand Canyon wird durch die teils dramatische Enge des Nebentals abgelöst. Ein Blick zurück zeigt noch einmal die hohen Wände, aber meist sieht es eher so aus:

Mir begegnet ein Trail Runner, der noch vor der Dunkelheit wieder an den South Rim gelangen möchte. Ich lerne, dass es zwei Gruppen von Trail Runnern gibt: Rim-2-Rim-Runner, die an einem Tag vom North Rim zum South Rim laufen oder umgekehrt. Und Rim-2-Rim-2-Rim-Runner, die an einem Tag hin und zurück laufen, etwa 40 Meilen, und zweimal fast 2000 Höhenmeter herunter und herauf! Auch wenn sie dabei keinen vollen Rucksack schleppen, kann ich dabei nur neidvoll kopfschüttelnd zusehen. In meiner Geschwindigkeit würde ich dafür vier Tage brauchen.
Das Tageslicht reicht noch für ein letztes Bild:

Es ist nicht mehr weit bis zum Campingplatz, aber es ist auch schon fast dunkel. Am Weg läge noch ein Wasserfall, aber dafür ist es jetzt zu spät. Ich fluche noch einmal auf den unflexiblen Ranger, der mir diese Spät-am-Tag-Schnellwanderung hätte ersparen können, dann nehme ich meine Beine in die Hand und gelange etwa um 20:00 an das Cottonwood Creek Camp. Im Dunkeln schlage ich mein Zelt auf und koche unter einem perfekten Sternenhimmel. Dann ist es Zeit zu schlafen! Schließlich steht morgen die Wanderung aus dem Grand Canyon heraus zum North Rim an.