PCT 2022 Tag 113, 14.4 Meilen bis PCT-Meile 1101.6

Der Tag beginnt mit einer besonderen Begegnung: Gleich am Morgen treffe ich ein Trail Maintenance Team. Unter Anleitung eines professionellen Teamleiters erneuert eine Gruppe freiwilliger, meist sehr junger Helfer einen Teil des Trails. Ich fange ein Gespräch an und erfahre, dass es an dieser Stelle um eine Befestigung des Trails zum Schutz vor Erosion geht. Dazu werden in den Weg schwere Felsbrocken versenkt, die dann die Erde festhalten sollen. Ein solcher Brocken wurde gerade an dieser Stelle eingebaut.

Ich bedanke mich bei dem Team für seine Arbeit – und lerne erstaunt, dass sie dies sehr selten hören. Es gäbe sogar Wanderer, die sich beschwerten, dass das Maintenance Team ihnen im Weg steht. Ich finde das schwer begreiflich, immerhin geben hier Menschen bis zu drei Monate ihrer Zeit dafür, dass der Weg, auf dem ich gehe, in gutem Zustand ist!

Nach dieser Begegnung führt mich der Weg endgültig in die Desolation Wilderness. Vieles sieht nach der Zeit in der High Sierra vertraut aus – Seen in den Bergen unter Bäumen, einzelne Bäume auf kleinen Inseln, hier und da auch noch im Juli ein Schneefeld. Doch zugleich ist es anders, denn diese Landschaft liegt deutlich unter 2000 Metern Höhe. Dafür ein ganzes Stück weiter im Norden.

Da alles deutlich einfacher zugänglich ist als die High Sierra, ist hier viel los auf den Wanderwegen. Upper und Lower Echo Lake, beide auf dem nächsten Bild zu sehen, sind für Tageswanderer gut von den Parkplätzen am Echo-Lake-Staudamm zu erreichen. Es gibt sogar eine Fähre, damit man nur einen Weg wandern muss. Und dann ist noch Feiertagswochenende … ich mache Mittagspause in einer Gruppe von Tageswanderern und kann meine ganzen Fernwandergeschichten einem staunenden Publikum erzählen!

Nach den Echo Lakes folgt als nächstes, größeres Gewässer der Lake Aloha. Wo hier die Verbindung zu Hawaii liegt, hat sich mir nicht erschlossen. Vielleicht darin, dass es heute so windig ist, dass man fast surfen könnte? Anstelle von Spiegelbildern mit einer absolut glatten Seeoberfläche gibt es also heute Wellen zu fotografieren, in denen sich die Nachmittagssonne spiegelt. Hat auch was!

Ein Thema, das mich zunehmend mehr begeistert, sind die Bäume in den unwirtlichen Berggegenden und ihre Formen, die oft lange Geschichten vom Leben und Überleben erzählen. Diese beiden hier haben sich auf ihrer Mini-Insel einen ganz besonderen Standort ausgesucht:

Und diese beiden Bäume haben ihr Wachstum an der vorherrschenden Windrichtung orientiert. Außerdem beherrschen sie das Kunststück, Wurzeln in einer durchgehenden Felsplatte zu schlagen:

Diese Bäume schließlich zeigen an, dass der Wind hier sehr oft und sehr lange von links her weht. Und dass gerade in dieser Ecke die Bedingungen so sind, dass hier etwas größere Bäume wachsen können, jedenfalls im Vergleich zu den viel kleineren Exemplaren etwas höher am Fels:

Direkt bei diesen Bäumen biegt der Weg rechts ab und führt über steile Geröllfelder an weiteren Seen vorbei. Zum ersten Mal bin ich nur mittelglücklich mit meinen Schuhen. Trail Runners sind wirklich hervorragend auf Sand, Waldboden und feinem Schotter, bei Bachdurchquerungen und (mit Spikes) auf Schnee. Auf Geröll indes haben sie ihre Schwächen. Zum ersten Mal seit vielen Wochen tun mir die Füße weh – an der Fußsohle und an der Achillesferse. Ich hoffe, dass das ganze gut geht und freue mich, als der nächste Meilenstein ansteht:

Kurz darauf geht der Tag zu Ende. Ich campe mit Aussicht auf diesen See:

Heute Abend bin ich nicht allein. Ich treffe Cat Dog und zwei weitere Wanderer am Zeltplatz, wir essen gemeinsam zu Abend und kommen ins Gespräch. Dabei fällt der Satz: „Wenn ich es nicht bis zur kanadischen Grenze schaffe, komme ich mir vor, als hätte ich versagt.“ Ich versuche gegen diese Mentalität anzuargumentieren, komme aber nicht sehr weit. Im Geist reflektiere ich mein eigenes Ziel, 150 Tage auf dem Trail zu sein. Dieses Ziel legt den Fokus ebensosehr auf das Naturerlebnis, das mit der Zeit kommt, wie auf einen achtsamen Umgang mit meinem Körper – ansonsten ist früher Schluss. Bis hierher hat mich mein Ziel sehr gut geführt. Und es motiviert mich, weiter zu gehen! Wenn ich zum Ziel hätte, unbedingt bis nach Kanada zu kommen, dann könnte ich jetzt aufgeben. Ich bin in 113 Tagen insgesamt 1100 Meilen gegangen, also rund 10 Meilen am Tag, alle Ruhetage eingerechnet. Ich kann also damit rechnen, in 150 Tagen etwa 1500 Meilen weit zu kommen. Bis Kanada sind es aber 2650 Meilen; das ist für mich schlichtweg nicht zu schaffen. Und auch diese Erkenntnis ist wertvoll, denn sie erlaubt mir, meine Zeit hier und jetzt zu genießen anstatt krampfhaft Meilen machen zu müssen. Was ich wohl machen würde, wenn ich ein anderes Ziel hätte?

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