Maximiliansweg Tag 5: Bestandsaufnahme, Tegelberg und Neuschwanstein

Der Tag beginnt mit einer warmen Dusche in einem perfekt gepflegten Badehaus. Nach einer sehr kalten Nacht genieße ich diesen Luxus und lasse mir Zeit. Das Frühstück kommt aus dem kleinen Laden des Campingplatzes, ein großes Stück Kuchen und ein Kaffee. Der Himmel ist wolkenverhangen, aber im Tal herrscht kein Nebel. Ich sehe in den Wetterbericht. Heute ist Sonntag, und für Dienstag ist Schnee angesagt – bis auf 500 m in die Täler herunter. Wie soll es angesichts dieser Aussichten weitergehen?

Mein Verhältnis zum Maximiliansweg ist zwiegespalten. Das liegt nicht am Maximiliansweg, sondern an mir. Ich finde hier nicht, was ich suche. Nämlich eine Umgebung, die mich inspiriert und mir hilft, aus meinem Alltagsdenken herauszukommen und mich selber neu kennenzulernen. Hier und jetzt kann ich mit Disziplin voran und irgendwann ans Ziel kommen; dabei Kondition aufbauen; lernen, bei weniger gutem Wetter draußen zurechtzukommen; zahllose Kulturdenkmäler kennen und schätzen lernen. Aber der Antwort auf die Frage, wie ich die nächsten zwanzig Jahre meines Lebens verbringen möchte, komme ich hier nicht näher. Dafür ist alles zu nah an meinem Alltag der letzten zwanzig Jahre. Das Ganze fühlt sich an wie ein Urlaub, und das hilft mir jetzt nicht weiter. Daran werden auch weitere vierzehn Tage auf diesem Weg nichts ändern. Ich werde den bevorstehenden Wintereinbruch zum Anlass nehmen, diese Wanderung zu beenden.

Ich beschließe, noch eine Nacht auf diesem Campingplatz zu bleiben, Sonntag und Montag in der Umgebung hier zu verbringen, und am Montagnachmittag wieder nach Hause zu fahren. Als ich diese Entscheidung treffe, endet die Zwiegespaltenheit. Ich beschließe, noch zwei Tage Tourist in Füssen zu sein, wie alle anderen auch. Um kurz nach zehn mache ich mich zu Fuß auf den Weg auf den Tegelberg.

Zunächst geht es etwa fünf Kilometer durch die Ebene von Brunnen am Forggensee nach Hohenschwangau am Fuße von Neuschwanstein. An der Talstation der Tegelbergbahn warten Menschen anderthalb Stunden, um eine Karte für eine Kabinenbahnfahrt in die tiefhängenden Wolken zu ergattern. Wohlgemerkt, in der Noch-nicht-einmal-Nachsaison Oktober, morgens um neun, bei Nebel und Kälte. Ich wage nicht, mir vorzustellen, was hier an einem schönen Sommertag in den Ferien los ist.

Zusammen mit etlichen anderen gehe ich an der Schlange vorbei und besteige den Berg zu Fuß. Nach kurzer Zeit bin ich wieder von Nebel umgeben. Auf dem steilen Weg kommen mir so viele Menschen entgegen, dass es sich anfühlt wie auf einer Treppe in einem U-Bahn-Schacht, wenn gerade ein Zug kommt. Dann geht mir auf, dass der Vergleich ziemlich treffend ist – nur, dass die Menschen nicht aus einer U-Bahn kommen, sondern aus einer Kabinenbahn, die ihre wandernde Fracht alle paar Minuten oben auf dem Berg abliefert …

In der Rohrkopfhütte kehre ich ein, bekomme ein gutes Mittagessen und eine schöne Begegnung mit einem anderen Wanderer. Ich lerne wieder etwas: Es kann zu einsam sein für Begegnungen mit anderen; wenn niemand da ist, kann ich auch niemandem begegnen. Es kann aber auch zu voll sein. Wenn alles von Menschen nur so wimmelt, mache ich dicht, weil ich nicht mit jedem in Kontakt treten kann. Dann muss etwas besonderes passieren, dass eine Begegnung zustande kommt. In diesem Fall – ganz banal – dass ich zu jemandem an den Tisch gesetzt werde, weil es für mich alleine keinen Tisch mehr gibt. Und manche dieser Zufallsbegegnungen sind sehr wertvoll!

Nach dem Essen mache ich mich wieder auf den Weg, und dann geschieht etwas: Der Weg führt langsam, aber sicher oben aus den Wolken heraus. Die Sonne bricht zunächst in einzelnen Strahlen durch den Nebel. Kurze Zeit später sehe ich zum ersten Mal den blauen Himmel. Und unter mir die Wolken im Tal. Es fühlt sich an, als ob ich mir einen unbeschreiblich schönen Moment durch harte Arbeit verdient hätte. Ich bin ganz im Augenblick und genieße ihn.

Für die nächste Stunde gewinne ich kontinuierlich an Höhe, und hinter jeder Kurve tut sich eine neue Perspektive auf das vernebelte Tal auf.

Ich komme am Tegelberghaus und der Bergstation der Kabinenbahn an. Ein wenig tun mir die Menschen leid, die mit der Bergbahn hochgefahren sind und jetzt in den Nebel herunterlaufen. Das ist einfach die falsche Richtung für diesen Tag.

Ich erkunde die kurzen Rundwege um den Gipfel herum und beschließe, die Bergbahn für den Rückweg zu nutzen. Mit der letzten Kabine fahre ich um 17:00 zurück ins Tal. Als wir auf der Fahrt unterhalb der Nebeldecke wieder auftauchen, sehe ich, dass sich die Wolkendecke inzwischen ein Stück angehoben hat: Neuschwanstein ist aus dem Nebel aufgetaucht!

Ich beschließe, noch ein wenig durch Hohenschwangau zu wandern und Deutschlands meistfotografiertem Motiv meine eigene, neblig-verwunschene Perspektive zu entlocken.

Meine Erkundung von Hohenschwangau endet im Sonnenuntergang am Alpsee – auch nicht einer der unterfotografierten Orte dieses Landes, aber trotzdem schön!

Für den Rückweg zu meinem Campingplatz in Brunnen wähle ich den Bus. Ich bin ja jetzt Tourist … Der Tag endet mit ein paar Sonnenuntergangsbildern vom Forggensee.

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