Früh morgens wache ich auf. Der Zustand meines Knöchels hat sich verschlechtert. Ich befinde mich 50 Meilen von der nächsten Straße entfernt. Ich brauche nach den Erfahrungen von gestern drei Stunden für eine Meile, und ich habe Essen für fünf Tage. Die klare Schlussfolgerung: Alleine komme ich hier nicht raus.
Auf dem Zeltplatz hat noch ein Paar übernachtet, dem ich am Abend meine Lage geschildert habe. Sie fragen mich, ob sie helfen können – ich bitte um einen weiteren Liter Wasser. Ansonsten können sie mir nicht helfen. Ich brauche Hilfe von außen.
Ich habe ein Handy bei mir, aber erwartungsgemäß ist das in diesem Moment nutzlos: hier draussen gibt es kein Netz. Doch auch für diesen Fall bin ich vorbereitet. Ich habe ein Gerät bei mir, mit dem ich einen Satellitennotruf absetzen kann. Die Zeit ist gekommen, Hilfe zu rufen. Um 8:00 drücke ich auf den Knopf.
Leider ist die Kommunikation über das Iridium-Netzwerk nicht so einfach wie über SMS. Es vergeht über eine Stunde, bis dass ich mir anhand der Reaktionen des Gerätes sicher bin, dass mein Notruf irgendwo gehört wurde. Im Verlauf der nächsten Stunden werde ich von unterschiedlichen Stellen befragt, worin mein Notfall besteht, mal auf deutsch, mal auf englisch. Ohne dass ich es weiß, läuft in dieser Zeit eine komplizierte Kommunikationskette ab. An deren Ende steht das Büro des Sheriffs von Snohomish County, auf dessen Gebiet ich mich befinde. Über das GPS in meinem Satellitennotrufgerät ist meine Position bekannt, und schon um Viertel nach zehn macht sich ein fünfköpfiges Team per Hubschrauber auf den Weg, um mich zu retten.
Gegen kurz vor elf höre ich den Hubschrauber näherkommen. Ein unbeschreibliches Gefühl: sie kommen für mich! Wildfremde Menschen haben sich auf den Weg gemacht, um mich zu retten. Und jetzt werden sie gleich da sein.
Was ich zu diesem Zeitpunkt noch nicht weiß: Bergrettung in Amerika ist ehrenamtlich. Nur der Hubschrauberpilot ist ein Angestellter beim Sheriff, die anderen vier Teammitglieder machen dies in ihrer Freizeit, wie bei uns die freiwillige Feuerwehr. Es sind nicht nur wildfremde Menschen, die hier ihr Leben für mich einsetzen, sie tun das freiwillig und unbezahlt.
Das Gelände ist sehr zerklüftet, an eine Landung des Hubschraubers ist nicht zu denken. Ein Mann lässt sich mit einer Winde herab auf die Brücke und beginnt, mich zu suchen. Mein Zeltplatz liegt unter Bäumen und ist von der Luft aus nicht zu erkennen. Ich bitte einen anderen Wanderer, mit dem Mann Kontakt aufzunehmen und ihm zu sagen, wo ich bin. Kurz darauf findet mich Andy und bringt mich an eine Stelle, von der aus mich der Hubschrauber per Winde aufnehmen kann. Ich bekomme einen Harnisch angelegt, und kurze Zeit später schwebe ich zum Hubschrauber hinauf.
Im Hubschrauber erwartet mich ein Sanitäter. Der Pilot und sein Copilot. Ein Mann, der die Winde bedient hat. Und Andy, der mich am Boden gesucht und gefunden hat. Wir fliegen fast eine Stunde lang über wildes Gebirge, dann nähern wir uns Everett. Dort werde ich zur weiteren Versorgung ins Krankenhaus gebracht.
Eine Röntgenaufnahme wird angefertigt, es ist nur eine Verstauchung, kein Bruch. Ich bin bei meinem Sturz sehr behütet worden, es ist nicht viel passiert. Nach vielleicht zwei Stunden werde ich aus der Notaufnahme entlassen. Bill, der Hubschrauberpilot, hatte angeboten, mich am Krankenhaus abzuholen. Ich rufe ihn an, und er bringt mich in ein Hotel in Everett.
Lieber Gregor, ich sende Dir Genesungswünsche und drücke fest die Daumen, dass sich der Zustand Deiner Verstauchung schnell verbessert.
Herzlichen Dank, dass Du uns an Deinen Gedanken teilhaben lässt. Tolle Fotos und hervorragende Berichte! Liebe Grüße Hagen
Lieber Gregor, zuerst einmal wünsch ich dir schnelle Genesung, damit du wieder bei vollen Kräften deinen Weg fortsetzen kannst.
Was für eine Reise du hier erlebst, mit allen Facetten des Lebens. Beim lesen deines Posts denk ich gerade, wie „klein“ und „unbedeutend“ wir Menschen doch sind, im Vergleich zur Natur und dem Ganzen der Welt.
Ich wünsch dir weiter eine großartige Reise, mit vielen neuen Erkenntnissen und Freude beim sein! Bleib gesund und froh 🙂
Viele Grüße
Holger
Lieber Gregor,
das klingt ja alles dramatisch. Gut, dass Du vorbereitet warst und einen Notruf senden konntest.
Alles Gute Dir und gute Besserung!
Henrik
Da hattest Du Glück im Unglück. Manchmal wird auch ein privater Rettungsdienst beauftragt, dann wären das leicht 20.000-50.000 USD für den Flug gewesen.
Henning, 64, class of 2024, von Campo bis Midway Point.