PCT 2022 Tag 51: Der Groschen fällt. 9.5 Meilen bis Warner Springs Road nach Tehachapi, PCT-Meile 558.5

Nach der Nacht am 549 Bar & Grill bin ich der letzte, der aufbricht. Es ist mir egal – der Tag wird kurz werden, bis zu meinem nächsten Town Stop in Tehachapi sind es nur noch neun Meilen. Ich wandere los, und trinke die Farbenpracht der mich umgebenden Blumen mit meinen Augen. Die Motive bleiben die gleichen wie in den vergangenen Tagen – Windmühlen, bunte Blumen und totes Holz bilden faszinierende Kontraste. Aber wenn das überhaupt noch möglich ist, dann nimmt die Üppigkeit der Erfahrung noch einmal zu.

Und endlich, endlich fällt bei mir der Groschen. Ich bin hier in der Wüste, in einer der trockensten Landschaften der Welt. Und ich erlebe den unglaublich kostbaren, unglaublich kurzen Moment des Frühjahrs, in dem die Wüste blüht! Es gibt hier nur wenige Wochen, und in einem extratrockenen Jahr wie diesem vielleicht nur wenige Tage, an denen das zu sehen ist, was ich gerade sehen darf: die Wüste blüht in den schönsten Farben. Und weil die Zeit, in der das vom Klima her möglich ist, so kurz ist, blüht auch alles gleichzeitig. Als ich dies begreife, kann ich mein Glück kaum fassen und greife zur Kamera. Siehe oben und siehe unten.

In der Reflexion ein paar Tage später fällt mir etwas auf. Ich bin mit ganz festen Erwartungen in die Wüste gekommen: Sand, Hitze, Trockenheit, alles kahl. Die Wüste dachte aber gar nicht daran, mir den Gefallen zu tun, meine Erwartungen zu erfüllen. Sie war ganz anders, viel nuancierter, vielschichtiger, interessanter als ich das erwartet hatte. Und ich – habe so feste Erwartungen, dass ich erstmal anzweifle, überhaupt in der Wüste zu sein! Die heutige wunderbare Erfahrung der Fülle und des Segens hätte ich tagelang machen können, anstatt zu zweifeln, was hier vor sich geht, und mich zu fragen, ob ich überhaupt in einer richtigen Wüste bin …

Meine starken Erwartungen haben sich vor meine sinnlichen Wahrnehmungen gestellt und tagelang verhindert, dass ich eine unglaublich positive Erfahrung zulassen konnte.

Ob mir das anderswo im Leben auch schon passiert ist?

An diesem Tag komme ich jedenfalls voller Glück an der Warner Springs Road an. Innerhalb von Minuten werden vier andere Wanderer und ich von zwei Autos mitgenommen. „Wohin wollt ihr denn?“ – „Nach Tehachapi, zur deutschen Bäckerei“, sagt die Amerikanerin neben mir. Deutsche Bäckerei? Ich hatte meine Hausaufgaben in Sachen Tehachapi nicht gemacht, aber das klingt gut! Als wir ankommen, sind dort schon etliche andere Wanderer auf der Terrasse. Ich gehe an die Theke, bestelle ein vegetarisches Sandwich. „Unser Sauerteigbrot ist leider schon aus. Möchtest du lieber Sechskorn oder Vollkorn?“ Ich traue meinen Ohren nicht. So eine tolle Brotauswahl ist in Amerika wirklich selten! Ich entscheide mich für Sechskorn und nehme als Nachtisch noch einen Erdbeer-Käsekuchen mit. Und zum guten Abschluss ein Hofbräuhaus-Bier!

1 Comment

  1. Albrecht

    Hi Gregor, danke für das Teilen Deines Groschenfalls! Bei mir ist durch Deine beeindruckenden Fotos aus der Mojavewüste und ein paar Recherchen auch ein Groschen gefallen: weitaus größter Windanlagenbauer der Welt ist nicht Vestas, Siemens oder eine chinesische Firma sondern: General Electrics. Entgegen allen Klischees haben die Amerikaner auch beim Wind die Nase vorne. ;-). LG Albrecht

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