Der Zauber, der von Mammoth ausgeht, ist schwer zu beschreiben. Auf den ersten Blick ist es ein etwas größerer Touristenort, der recht hoch in den Bergen liegt, und der im Winter von Skifahrern und im Sommer von Wanderern besucht wird. Auf den zweiten Blick fallen viele Details auf: das wegen der Höhe sehr angenehm kühle Wetter. Die Vielzahl kleiner Familienbetriebe, in denen es Bio-Essen und manchmal sehr freundliche Vibes gibt. Und nicht zuletzt die Pächter im Cinnamon Bear Inn, die sich absolut rührend um ihre Gäste kümmern. Natürlich fehlt auch nicht die örtliche Micro Brewery …
Ich fühle mich auf Anhieb wohl und lasse die letzten Tage noch einmal Revue passieren. Der Rhythmus der Passüberquerung, das immer wiederholte Überschreiten der Baumgrenze, die vielen wunderbaren Bergseen und Flüsse, die teils uralten Bäume. Der stärkste Eindruck aber ist die unglaubliche Weite. Seit Kennedy Meadows bin ich jetzt zwei Wochen unterwegs, auf dem Trail lag kein Ort und keine Straße, und selbst von den höchstgelegenen Aussichtspunkten aus war keine zu sehen. Mir wird erst jetzt deutlich, auf was ich mich da eingelassen habe – und wie gut ich mich in der Wildnis bis jetzt geschlagen habe. Ich fühle mich auf dem PCT angekommen.
In Mammoth verbringe ich viel Zeit mit Essen. Im Stellar Brews Café mit seiner unglaublich positiven Energie treffe ich auf zwei Wanderer, die sich auf dem Trail kennen und lieben gelernt haben. Sie spielen Schach und trinken Cappuccino. „Wir sind für zwei Tage zum Ausruhen nach Mammoth gegangen. Das war vor einer Woche!“ Wir lachen gemeinsam in der warmen Vormittagssonne auf der kleinen Terrasse des Cafés. Es sollte nicht das letzte Mal sein.
An der Hauptstraße verkauft ein Fotograf in seinem Ladengeschäft großformatige Bilder mit faszinierenden Lichtstimmungen der High Sierra. Ich gehe in das Geschäft, stelle mich als PCT-Hiker vor, und frage ihn, ob ich von ihm etwas für meine eigene Fotografie lernen kann. Fast zwei Stunden lang erzählt er mir, wie seine preisgekrönten Aufnahmen zustande gekommen sind! Wer neugierig ist, kann sich die Bilder unter www.sierralightgalleries.com ansehen.
In meinem Hotel lerne ich, dass regelmäßig Bären durch die Stadt kreuzen. Im vergangenen Jahr ist einer in das Hotel eingebrochen und hat nachts das Frühstücksbuffet geplündert. Heute ist das eine gute Geschichte mit ein paar Erinnerungsfotos, damals war es eine ziemliche Sauerei. Als ich nach dieser Geschichte mit geschärftem Blick durch die Straßen gehe, fällt mir auf, dass alle Mülltonnen und Papierkörbe bärensicher ausgeführt sind. Man lebt hier mit den Tieren und freut sich an ihnen, und wenn hin und wieder mal ein Zwischenfall passiert, dann wird man auch damit fertig. Ich muss spontan an Stoibers bayrischen Problembären denken …
Abends gehe ich in die Brauerei und setze mich an die Theke, gespannt auf das Gespräch mit dem Nachbarn. Er wandert nicht, er klettert. Und über das Klettern und Outdoor Activities im allgemeinen kommen wir schnell auf andere Themen. Wir haben beide als Unternehmensberater gearbeitet, sind beide auf einem spirituellen Weg, und sind beide an einem Punkt, an dem wesentliche Entscheidungen anstehen. Als die Brauerei um 22:30 schließt, ziehen wir weiter in die einzige Apres-Ski-Bar, die auch ohne Skifahrer geöffnet hat. Viel los ist dort nicht, aber es gibt bis um zwei Uhr morgens Bier. Es ist nach Mitternacht, als wir uns trennen.
Mein Hotelwirt hat mir von der Consolidated Mine erzählt, der Goldmine, die ab 1870 das Wachstum von Mammoth begründet hat. „Gibt es da noch Gold?“, frage ich. „Ja, ich habe schon einiges gefunden. Du musst auf den Abraumhalden schauen, da gibt es noch einige Reste.“ Ich kann nicht wiederstehen und fahre mit dem Stadtbus heraus zu der Mine. Heute ist das so eine Art Museum, in dem es in erster Linie zusammengefallene Häuser und verrostete Maschinenteile zu sehen gibt, alles ziemlich weiträumig im Wald verstreut. Es gibt aber auch ein paar (inzwischen verschlossene) Minenschächte im Wald – siehe oben! Ich finde etliche Abraumhalden und beginne etwas wahllos, auf den Steinen herumzuschlagen. Gold finde ich keins, aber immerhin Pyrit – auch bekannt als Katzengold!
Es ist schwer, Mammoth wieder zu verlassen. Als ich von der Goldmine zurückkomme, treffe ich erneut auf die beiden schachspielenden Wanderer. Sie haben beschlossen, erstmal zu bleiben, nachdem ihnen ihre Lieblingsbäckerei einen Aushilfsjob in der Küche angeboten hat. Trotzdem wird es für mich Zeit, zu gehen. Gut erholt mache ich mich nach vier Nächten im Hotelbett wieder mit meinem Zelt auf den Weg.