PCT 2022 Tag 152 und 153, Bend, und Tag 154, San Mateo

Dies ist mein letzter Tag auf dem Trail. Und damit einer der merkwürdigsten Tage meiner jüngeren Vergangenheit. Erlebt habe ich diesen Tag am 11. August, diesen Blog-Beitrag verfasse ich am 7. November, fast drei Monate später, und ich weiß immer noch nicht, wie ich diesen Tag beschreiben soll. Ich könnte bei dem Foto oben bleiben, das ist am Morgen entstanden: Alles gut, strahlendes Lächeln, und er war glücklich bis an sein Lebensende. Nur, dass es so nicht war.

Wir haben im Bunk & Brew übernachtet, einem Hostel mit täglichem Abendprogramm. Der Vorabend ging mit etlichen kühlen West Coast IPAs so zu Ende:

Der Tag begann dann wie so viele andere Town Days – ein kleines bisschen verkatert, ein kleines bisschen später als draußen in der Natur, mit der Aussicht auf Town Food bereits zum Frühstück, der Köder schlechthin für alle Wanderer. In bester Stimmung entsteht auch das Foto ganz oben. Das Frühstück gestaltet sich für mich etwas schwierig, denn wir müssen es selbst zubereiten. Ich übernehme das Waffelbacken, bin allerdings damit überfordert, das entsprechende Pulver abzumessen – keines der vielen Küchengeräte hier hat Ähnlichkeit mit einem mir bekannten Messbecher, und das angegebene Maß – 1 1/8 Cup – ist mir so fremd, dass ich mich nicht traue, mit Augenmaß weiterzumachen. Mit einem Blick aus der „Männer in der Küche“-Kollektion zeigt mir Waterfall schließlich einen in keiner Weise gekennzeichneten Becher, der als Messbecher funktioniert und genau eine Cup aufnimmt. Wieder einmal denke ich, dass man in einem fremden Land so lange leben kann wie man will, man bleibt ein Kulturlegastheniker, der an den einfachsten Dingen scheitert, sowie man sich etwas außerhalb der Komfortzone bereits erlernter Kulturtechniken bewegt …

Nach dem Frühstück packt Waterfall ihre Sachen, ich gebe ihr mein restliches Trail Food mit, dann fährt sie mit einem Trail Angel und drei anderen Hikern weiter Richtung Government Camp. Ich bin seit einem Monat zum ersten Mal allein und gehe in den Gemeinschaftsraum des Hostels. Dort treffe ich auf ein paar bekannte Gesichter, und drei Sätze später bin ich mit einer Wanderin, die ich einige Wochen vorher irgendwo im Wald kurz getroffen hatte, auf dem Weg in die Innenstadt von Bend. Was als kurzer Shoppingtrip zu REI geplant war, wird zu einer ausgedehnten Wanderung am Bend River entlang, wir reden über Gott und die Welt, gehen noch zusammen Abendessen und trennen uns erst fast zwölf Stunden später. Auf dem Rückweg in die Stadt begegnen wir ein paar Rehen, die den Vorgarten eines Bürohauses abweiden:

Mir fällt an diesem Tag noch nicht einmal auf, wie ungewöhnlich dieser Tag in meinem „normalen“ Leben wäre: Einen fast wildfremden Menschen wiedertreffen, ein Gespräch anfangen, spontan fast den ganzen Tag miteinander verbringen, ohne Termine verschieben oder sich bei irgendwem rechtfertigen zu müssen, und sich dann trennen, ohne auch nur nach dem richtigen Namen gefragt zu haben – wenn wir uns wiedersehen sollen, dann wird es schon so kommen, und im Zweifel werden wir uns auch anhand der Trail Names googeln können.

Als ich dann abends alleine in meinem Hostelzimmer sitze, realisiere ich schlagartig: Das war es jetzt. Ich bin kein Wanderer mehr, die Zeit ist um. Draußen wummert die Musik, heute abend ist im Hof Rave-Party, andere Wanderer feiern schon, obwohl es gerade erst sieben Uhr ist. Ich kann mich nicht dazu durchringen, herauszugehen, suche mir meine Ohrstöpsel und versuche irgendwie zu verstehen: Genauso plötzlich, wie dieses völlig andere Leben vor fünf Monaten begonnen hat, ist es jetzt gerade zu Ende gegangen. Jetzt steht an, nach San Mateo zu reisen, wo ich ein paar Tage im Haus einer Freundin bleiben kann, bis dass mein Sohn Tobias am 18. August in San Francisco landet. Danach mit ihm gut zwei Wochen eher „klassischer“ Kalifornienurlaub, dann der Heimflug nach Deutschland. Und dann? Keine Ahnung.

Ich beginne zum ersten Mal zu ahnen, was erfahrene Hiker meinen, wenn sie von Post-Trail Blues schreiben. Heute, als ich diesen Blogartikel aufschreibe, drei Monate später, kann ich davon ein sehr langes Lied singen, das auch noch nicht zu Ende ist. Aber für den Moment an Tag 152 ist mir sehr klar, was ich tun muss: Eine Fahrt nach San Mateo organisieren. Die Amtrak-Webseite sagt, das sind 23 Stunden Fahrzeit mit Bus und Zug, mit ein paarmal umsteigen und einem möglichen Aufenthalt in Berkeley. Ich buche sofort die Fahrkarte – am nächsten Tag um 16:00 geht es am Busbahnhof in Bend los.

Ich schlafe schlecht, frühstücke am nächsten Tag noch einmal im Bunk & Brew, komme viel zu früh am Busbahnhof an. Die wenigen anderen Fahrgäste sitzen im Warteraum und blicken stumm vor sich hin, ich setze mich dazu und blicke stumm mit. Nach einer längeren Fahrt nach Klamath Falls und zwei Stunden Aufenthalt am äußerst unattraktiven Bahnhof sitze ich im Nachtzug nach Richmond und lasse die Wildnis zumindest für diese Wanderung endgültig hinter mir. Am nächsten Tag bleibe ich ein paar Stunden in Berkeley, frühstücke dort, fahre dann noch in eine Outlet-Mall in der Bay Area und versorge mich mit ein wenig Stadtkleidung. Und dann fahre ich nach San Mateo und ziehe wieder für einen richtig langen Zeitraum – mehr als zwei Nächte – in eine feste Bleibe.

2 Comments

  1. Marc Lobmann

    Gregor,
    ich möchte mich abschließend für diesen unaufgeregten Wanderblog und das (zufällig gefundene) Interview bedanken. Statt athletischen Leistungen, sorgsam präsentierter Story oder touristischen Heldentaten stand eine (für Leser) beruhigende Reisebeschreibung an, die so manche Selbstreflektion beinhaltete.
    Viele Grüße, Marc

    P.S.: Ich habe mir „erlaubt“, das Manhattan Beach-Schild ausgedruckt an meinen Bürotisch zu hängen. Es wirkt… 😉

  2. Elaina+

    Yes, me too. I’m particularly thankful for the challenge of reading German again too. I think I got your birthday on the wrong day but if you’re anything like me , mine usually lasts for several days anyway ! Thank you for letting me be a part of your journey.

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