Der Tag beginnt mit einem Blick auf Mount Shasta im Morgengrauen – siehe oben! Nach Mount Lassen ist dies der zweite große Vulkan auf der Wanderung – und viele weitere werden in Oregon entlang des PCT noch folgen. Allerdings ist unklar, wieviele davon ich noch sehen werde. Zum einen geht meine Wanderzeit ihrem Ende entgegen, zum anderen brennt hinter Etna, etwas mehr als eine Woche vor uns auf dem Trail, das McKinney-Feuer. Die Feuerwehr hat bereits Wanderer notevakuiert, der Trail ist hinter Etna gesperrt, und wir fragen uns, wie schlau es ist, in eine Stadt hineinzuwandern, aus der alle anderen gerade versuchen herauszukommen. Aber für den Moment hat diese Frage noch keine Priorität. Es ist früh am Morgen, und es gilt zunächst, das Lager abzubrechen:
Danach hält der Tag eins meiner persönlichen Highlights der Wanderung bereit: Nach 141 Tagen begegnet mir der erste Bär. Die Fotos sind nicht perfekt – die Kamera war noch für die Lichtverhältnisse des ganz frühen Morgens eingestellt, und die Zeit, das alles neu einzustellen, blieb nicht – aber dennoch: Hier ist ein Bild!
Das Erlebnis war dem mit der Klapperschlange vor vielen Wochen nicht unähnlich. Ich kam um eine Kurve des Trails, und dann sah ich dieses schöne Tier rechts vom Trail an einem Baum stehen, in vielleicht 20 Metern Entfernung. Hoch aufgerichtet, war dieser Schwarzbär deutlich größer als ich. Er sah mich genauso überrascht und wachsam an wie ich ihn. Was jetzt zu tun ist, hatte ich unzählige Male gehört und gelesen: Stehen bleiben, ruhig verhalten, auf keinen Fall wegrennen. Dann groß machen, Geräusche machen, dem Tier klar machen: Ich habe keine Angst vor dir, aber ich lasse dich gerne gehen. Tu das bitte, und zwar jetzt! Das funktioniert auch genauso wie geplant. Der Bär trottet langsam über den Wanderweg, bleibt dann links vom Weg kurz hinter einem Baum stehen, schaut mich noch einmal an – in diesem Moment entsteht das Foto – und geht dann gemächlich links weiter in den Wald. Die Schritte werden leiser, und kurze Zeit später ist alles vorbei.
Auf der Webseite des Nationalparkservices der USA steht unter „Häufige Fragen“ als Antwort auf die Frage „Was tue ich, wenn ich einen Bär sehe?“ als allererstes: „Schätze dich glücklich!“ Als ich das zum ersten Mal gelesen habe, fühlte ich mich verschaukelt. Wenn so ein gefährliches Monster auftaucht, soll ich mich glücklich schätzen? In den vergangenen 141 Tagen hat sich meine Einstellung geändert. Ich wusste, dass ich einen Kontakt mit einem Bären mit dem richtigen Verhalten mit hoher Wahrscheinlichkeit sehr positiv gestalten kann, so dass weder Mensch noch Tier zu Schaden kommen. Das ist heute gelungen. Und so freue ich mich und bin dankbar, so ein beeindruckendes Tier in freier Wildbahn erlebt zu haben!
Der weitere Weg des Tages ist lang und führt immer wieder an Aussichtspunkten auf Mount Shasta vorbei. Unten noch einige Bilder davon! Nach über 20 Meilen schlagen wir unser Nachtlager auf. Morgen werden wir Shasta City erreichen, und dann ist die Entscheidung fällig, ob wir bis Etna weiterwandern oder das Feuer ab Shasta City umfahren.