PCT Tag 48: 9.5 Meilen bis Hikertown USA, PCT-Meile 517.6

Am nächsten Tag geht es etwas weniger als 10 einfache Meilen bergab, dann bin ich in Hikertown. Absolut nichts, was ich vorher gelesen hatte, hat mich auf Hikertown vorbereitet. Und zu Hikertown ist viel geschrieben worden, wenige Orte des PCT sind ähnlich kontrovers!

Ich versuche meine Beschreibung mal als Rundgang. Als ich gegen Mittag ankomme, ist nämlich zunächst nichts los. Zwei andere Hiker checken ihre E-Mail, ansonsten ist niemand anzutreffen. Ich befinde mich in einer Kulissenstadt wie aus einem Western:

Zum Teil haben die Hütten eine Funktion, z.B. als Aufbewahrungsort für die Pakete, die sich Wanderer hierher geschickt haben. Zum Teil kann man sie für eine Nacht mieten und darin schlafen. Das ist sehr günstig – für 20 Dollar habe ich noch nirgendwo auf dem PCT ein Dach über dem Kopf angeboten bekommen. Also beschließe ich, eine solche Hütte zu mieten. „Da musst du Martha finden“, informieren mich die anderen Wanderer. Sie ist die gute Seele von Hikertown und macht so gut wie alles: vermieten, putzen, Tamales kochen, und dabei immer extrem herzlich und freundlich sein. Sie bietet mir den Flowershop für die Nacht an. Auf den ersten Blick einfach eine als Blumenladen liebevoll dekorierte Hütte:

Auf den zweiten Blick hat die Deko es in sich, und man braucht hier einen sehr robusten Sinn für Humor. Auf den Schildern über der Tür steht: „Blumenladen. Beerdigungsunternehmer. Seit 1876 Henker von Neenach.“ Konsequenterweise befindet sich im angrenzenden Garten auch keine Blumenzucht, sondern so eine Art Friedhof:

Dass dieser dann ganzjährig mit Halloween-Deko geschmückt ist, fällt schon kaum noch auf.

Mein Blumenladen ist keine Ausnahme. Ich hätte auch in der Bank schlafen können. Während dort vor der Tür ein (nicht funktionierender) Geldautomat steht und ein Schild die Gilmore Girls als zuständige Bankenrinnen ausweist, hängt innen an der Wand über dem Bett eine Sammlung von (vermutlich echten) Maschinengewehren … und so geht es weiter.

Das nächste, was auffällt, neben aufwändiger und liebevoller Deko und einem sehr schrägen Sinn für Humor: die eigentliche Einrichtung ist spartanisch, und oft im Zustand einer Kulissenstadt: sieht gut aus, aber richtig funktionieren tut es nicht immer. Mein Zimmer ist keine Ausnahme. Es gibt keinen Strom und kein Wasser, die Tür kann nicht abgeschlossen werden, bei geschlossener Tür bleibt ein Luftspalt, der aber in Anbetracht der Temperatur und der ansonsten fehlenden Lüftungsmöglichkeiten (das Fenster lässt sich nicht öffnen) ganz angenehm ist … dafür ist alles, als ich einziehe, blitzsauber.

Wir setzen den Rundgang an der einzigen Toilette fort:

Wer jetzt glaubt, sich verlesen zu haben: da steht wirklich, „Jungs, wenn ihr nur pinkeln müsst, sucht euch bitte einen Baum.“

Weiter geht es mit der Dusche:

Die Dusche ist im Freien, warmes Wasser gibt es, das wird mit dem Gas aus der Gasflasche und einem für mich abenteuerlich aussehenden Ofen hergestellt … funktioniert aber ausgezeichnet, ich hab’s probiert!

Dann kommt die Waschmaschine:

Ein Waschbrett, ein Gartenschlauch, ein Eimer und eine Wäscheleine. Dazu ein unglaublicher Wind, der das Trocknen ungemein beschleunigt.

Bleibt noch der zentrale Aufenthaltsort für die Hiker:

Hier gibt es auch eine Möglichkeit, Elektrogeräte wieder aufzuladen.

Und schließlich noch die Outdoor-Spülküche:

Und die äußerst pragmatische Art, den Müllsack aufzuhängen, nämlich am Außenspiegel eines Autos:

Dieser schrille Ort ist kein Hotel und kein Hostel. Aber er lebt und inspiriert mich in seiner Atmosphäre des Scheins, des liebevollen Pragmatismus und der Improvisation in einer Weise wie bisher kein anderer Ort auf dem PCT.

Im Laufe des Tages wird es voll, und schließlich kommt auch Richard, der Eigentümer. Inzwischen in seinem achten Lebensjahrzehnt angekommen, betreibt Richard Hikertown seit zwanzig Jahren. Vorher war er Produzent bei Disney, hat viele Filme gedreht und mit vielen berühmten Schauspielern gearbeitet. Er öffnet seine Garage, dort steht ein Esstisch, und es ist ein bisschen wie ein mexikanisches Familientreffen, als wir dort mit ihm sitzen und unsere Geschichten austauschen, während es draußen langsam dunkel wird. Er war wohl auch mal Bürgermeister des Städtchens Neenach, auf dessen Gebiet Hikertown liegt. Und dann gibt es Geschichten von Immobilienspekulationen, die auch noch nicht abgeschlossen sind … der Eigentümer von Hikertown ist so bunt wie Hikertown selbst. Aber er hat ein großes Herz für Wanderer, ebenso wie Martha, die während dieser Gespräche immer wieder für das leibliche Wohl sorgt.

Ich kann und will die Widersprüche dieses Ortes nicht auflösen. Und ich verstehe, dass es Wanderer gibt, die hier „nie wieder“ schreiben. Aber ich und viele andere an diesem Tag haben uns sehr wohl und willkommen gefühlt, und ich würde beim nächsten Mal sicher wieder hier Halt machen.

Auch, weil es nachmittags ein Shuttle zum einzigen Laden in der Nähe gibt, der drei Meilen entfernten Tankstelle in Neenach, die gleichzeitig Restaurant und Kaffee ist. Der Laden ist vollständig auf den Bedarf von Hikern eingestellt. Das ist gut – allerdings sind die Preise sehr hoch. Cliff Bars kosten sonst $1.50 oder weniger – hier sind es $3.50 … Günstiger ist das zubereitete Essen, Burger gibt es schon ab $7.00, und wenn man sie direkt an dem Tisch im Hof der Tankstelle verzehrt, kommt manchmal der Besitzer heraus und spendiert ein Eis.

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