PCT 2022 Tag 73, 15 Meilen Slackpacking auf den Mount Whitney

Um halb zwei morgens stehe ich wie geplant auf. Mein Zelt und fast alle Ausrüstung bleibt in Crabtree Meadows, ich nehme nur mit, was ich für eine Tageswanderung brauche. Alles liegt schon vom Vorabend bereit, es geht schnell. Im Schein der Stirnlampe breche ich auf und mache mich auf den Weg.

Mein Zelt steht unter Bäumen am Rande von Crabtree Meadows. Ich will zur Wiese gehen, sie dann überqueren, und auf der anderen Seite dem dort gut erkennbaren Trail folgen. Am Vorabend habe ich mir das angesehen, alles ganz einfach. Nur jetzt in der Dunkelheit stellt sich die Frage: wo bitte schön ist die Wiese? Meine Stirnlampe reicht nicht weit genug, um das zu sehen. Und die anderen Zelte sehen in der Nacht alle gleich aus und bieten auch keine Orientierung … die Wiese ist nicht weiter als 30 Meter entfernt, aber ich irre fast eine halbe Stunde durch den Wald, bis dass ich sie finde!

Danach kann es wirklich losgehen. Nach einer einfachen Bachüberquerung führt der Weg zunächst ein paar Meilen ziemlich eben bis an das untere Ende der Serpentinen. Nach zwei Stunden halte ich an und versuche mich an einem Bild der Milchstraße:

Dann geht es weiter bergauf. Trotz meines heute sehr leichten Rucksacks spüre ich die Höhe. Schon ab 3500 Metern fällt das Atmen schwerer. Ich bin langsam, sehr langsam. Und je weiter ich komme, umso kurzatmiger werde ich. Der Weg ist nicht schwer zu gehen – nicht sehr steil, von einigen kleinen Flecken abgesehen kein Schnee, recht breit. Es ist die Höhe, die es schwierig macht. Ich hatte noch mal über Höhenkrankheit nachgelesen: eine Gefahr schon ab 2500 Metern, kann jeden treffen, Symptome vor allem Kopfschmerz, gegebenfalls Übelkeit, getrübtes Entscheidungsvermögen. Kann tödlich enden, einziges Gegenmittel: Absteigen. Nein, ich habe keine Höhenkrankheit. Mir fällt nur das Atmen schwer.

Kurz vor Sonnenaufgang schaue ich mich um. Ich bin in einem Wunderland aus Eis, Fels, Seen und Flüssen oberhalb der Baumgrenze. Die blaue Stunde taucht alles in ein magisches Licht:

Wenig später geht die Sonne auf. Sofort sieht die Welt ganz anders aus:

Beim Blick von oben auf den hier rechts im Schatten liegenden Guitar Lake verstehe ich, wie er an seinen Namen gekommen ist!

Langsam gehe ich weiter, alle paar Minuten bleibe ich zum Luftholen stehen. Zu meiner Überraschung ist das alles zwar schwierig, aber absolut machbar. Ich gehe weiter – die 4000-Meter-Marke rückt näher.

Ich komme an der Wegkreuzung vorbei, die zum Whitney Portal und hinunter nach Lone Pine führt. Ab hier wird es voller, ich treffe viele andere Wanderer, die ebenfalls auf dem Weg zum Gipfel sind. Zu den PCT-Wanderern kommen jetzt Tageswanderer dazu und Wanderer, die auf dem John-Muir-Trail unterwegs sind.

Der Weg wird etwas schwieriger, er führt über Geröllfelder und zwischen den Türmen und Spitzen neben dem eigentlichen Gipfel hindurch, die ich vor ein paar Tagen von Lone Pine aus von unten gesehen hatte. Heute sehe ich an dieser Stelle hinunter aufs Owens Valley, auf die Alabama Hills und dahinter auf Lone Pine:

Der Höhenmesser zeigt an, dass ich 4200 Meter passiert habe. So hoch in den Bergen war ich noch nie. Alle paar Schritte bleibe ich zum Luftholen stehen – das ist anstrengend, aber möglich. Keine Anzeichen von Höhenkrankheit. Ich gehe weiter.

Nach siebeneinhalb Stunden ist es dann so weit: ich komme auf dem Gipfelplateau an.

Und dann stehe ich auf dem Mount Whitney, mit 4416 Metern dem höchsten Punkt der USA außerhalb Alaskas!

Siehe auch das Bild ganz oben.

Mit ein paar anderen Wanderern freue ich mich an diesem ganz besonderen Ort. Wir machen Fotos, erzählen uns ein bisschen voneinander, essen, ruhen uns aus. Und nach einer halben Stunde geht es zurück ins Tal! Knapp 14 Stunden nach meinem Aufbruch komme ich wieder im Zelt an. Ich bin müde und will schlafen. Doch die Ruhe wird zweimal von einer Hubschrauberlandung unterbrochen: zwei andere Wanderer hat die Höhenkrankheit erwischt. Sie werden ins nächste Krankenhaus ausgeflogen.

Ich bin sehr dankbar dafür, wie der Tag für mich verlaufen ist.

3 Comments

  1. Elaina+

    OK. Jetzt verstehe ich. Dies ist eindeutig die „Erfahrung Ihres Lebens“, an die Sie sich immer erinnern werden. Ich habe vorher nicht verstanden, wie hoch das Basecamp schon ist, bevor man den Trail zum Mount Whitney beginnt. Und was für wundervolle Fotos! Gregor, Sie sind in der Tat gesegnet, diese Qualität und Länge der Zeit ohne Ehe und Familie zu haben. Meine Camino-Pilgerreise war nur 800 Kilometer lang, aber trotzdem erinnere ich mich, dass ich einen Großteil davon im „Überlebensmodus“ verbracht habe und seine (für mich) enorme Herausforderung überstanden habe! Ich hatte sehr wenige Einsichten und war am Ende eines jeden Tages zu müde, um Tagebuch zu schreiben oder viel innere Reflexion. Elaina+

  2. Swen

    Gregor, Gratulation! Mehr kann ich nicht sagen vor Respekt! außer: danke für die schöne Beschreibung!

  3. Albrecht

    Großartige Bilder, und eine großartige Leistung! Ich staune darüber, dass du nach dem vielen Gehen, dem Zeltlauf- und -abbau, dem Löcherbuddeln und Wasserholen auch noch zum Schreiben und Veröffentlichen kommst. Danke, dass Du uns teilhaben lässt!

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